Obere Absätze
Matthias Echternach
Matthias Echternach  
Foto:  privat

Die menschliche Stimme ist ein Wunderwerk, an der eine Vielzahl von Organen beteiligt ist. Der Stimmfacharzt und Sänger Prof. Matthias Echternach erklärt, wie körperliche Eigenschaften, aber auch gezieltes Training Klang und Lautstärke der Stimme prägen.

Es gibt ein Instrument, das nicht nur jeder beherrscht (zumindest leidlich), sondern auch ständig mit sich herumträgt – ein Organsystem, das wir seit unserer Geburt ununterbrochen im Einsatz haben: die menschliche Stimme. Könnten wir einen Blick in unser Inneres werfen, sähen wir dort eine Art Maschine aus weichem Gewebe, Knorpeln, Muskeln und Bändern, die in komplexer Zusammenarbeit dafür sorgen, dass wir gezielt Laute erzeugen können. Von unten nach oben betrachtet hätten wir zunächst die Lunge, gefolgt von der Luftröhre als Verbindung zum Kehlkopf; hier, im nächsten Bauteil unseres Instruments, befinden sich zwei Faltenpaare, von denen das untere als Stimmlippen bezeichnet wird; über dem Kehlkopf folgt der Rachen, der ebenso an der Tonerzeugung beteiligt ist wie eine Etage höher der Mund und die Nase; die Schaltstelle, die das Ganze koordiniert, ist das Gehirn. Doch wie genau läuft der Vorgang ab, mit dem wir unsere Stimme zum Klingen bringen? Hier weiß der Experte Rat.

„Mit der Lunge haben wir einen Blasebalg, der einen Luftstrom erzeugt. Dieser Luftstrom wird durch die schwingenden Stimmlippen in Luftpulse zerhackt, die wiederum akustische Wellen erzeugen, welche dann auf eine Resonanz in den lufthaltigen Räumen oberhalb der Stimmlippen treffen“, erklärt Professor Matthias Echternach. Als einer der führenden Phoniater (Stimmfachärzte) der Republik und klassisch ausgebildeter Sänger ist er in zweifacher Hinsicht professionell mit dem Thema befasst. Was die Stimme des Menschen von der anderer, ähnlich tonproduzierender Tiere unterscheidet, kann er genau benennen. „Wenn wir uns beispielsweise Hunde anschauen, dann ist bei ihnen der Knorpelanteil der Stimmlippen wesentlich höher.“ Wer Hunde beim Fressen beobachtet, kann sich vorstellen, warum. „Im Grunde genommen ist die Stimmgebung eine Zweckentfremdung“, sagt Matthias Echternach, „denn eigentlich stellt der Kehlkopf ein Schluckorgan dar, und je weniger die Tiere Töne produzieren müssen und mehr Wichtigkeit auf das Schlucken legen, desto höher ist auch der Knorpelanteil. Die menschlichen Stimmlippen sind im Vergleich recht weichteilig.“ 

Ein weiterer entscheidender Faktor ist die Koordination. Anders als häufig gedacht, produzieren wir Stimmlaute nicht durch Nervenimpulse, sondern auf rein mechanischem Weg. „Man könnte sich den allergrößten Teil der Nerven wegdenken oder den Kopf eines toten Menschen nehmen, und könnte dennoch munter Töne produzieren, wie es schon bei Versuchen im 18. und 19. Jahrhundert gemacht wurde“, sagt Echternach. Ähnlich wie bei einem Blasinstrument wird die Mechanik der Stimme durch den Luftstrom bestimmt, der durch die Stimmlippen hindurchfließt. „Das Einzige, was benötigt wird, ist ein Muskel, der die Stimmlippen zumacht, und der Druck, der durch das Ausatmen von der Lunge entsteht.“ Was die Stimme auslöst, ist dann die Hinführung der Stimmlippen zueinander, im Fachlatein auch Adduktion genannt. Der ganze Rest der so vielen Muskeln, die bei der Stimmerzeugung tätig sind, modulieren lediglich die Tonhöhe, die Lautstärke oder den Klang. Apropos Fachsprache: Wer nach landläufigem Sprachgebrauch von Stimmbändern redet, meint in den allermeisten Fällen die Stimmlippen. „Wir betrachten die Stimmlippen als Gesamtstruktur, während das Stimmband aus Sicht der Stimmchirurgen nur die tiefer gelegene und tatsächlich bandartige Struktur ist.“  

Haben sich beim Austritt der Luft durch den Spalt zwischen den Stimmlippen (Glottis) Schallwellen gebildet, übernehmen weitere Körperteile die Aufgabe, daraus gesprochene Sprache und Musik zu formen. Der Rachen und der Mund dienen als Resonanzraum, sie beeinflussen die Klangfarbe der Stimme und helfen, den Schall zu verstärken und zu formen. Zunge, Lippen und Zähne verändern den Klang, um unterschiedliche Laute zu erzeugen. Die Nase spielt ebenfalls eine Rolle bei der Resonanz, vor allem bei Nasallauten. Der Nasenraum kann den Klang beeinflussen, insbesondere bei Summlauten wie „m“ oder „n“. Die Tonhöhenerzeugung geht allerdings auf das Konto der Stimmlippen. Je höher ihre Spannung, desto schneller schwingen sie und erzeugen einen höheren Ton. Je geringer die Spannung, desto langsamer schwingen sie, was einen tieferen Ton zur Folge hat. Generell erzeugen größere Stimmlippen tiefere Töne, kürzere höhere Töne – und das erklärt auch die geschlechterspezifischen Unterschiede: Während die Stimmlippenlänge von Männern 17 bis 25 mm beträgt, liegt sie bei Frauen zwischen 13 und 18 mm. Der Grund dafür, dass wir nicht nur in der Oper zwischen Sopran, Alt, Tenor und Bass unterscheiden.

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Gibt es eigentlich einen generellen Unterschied zwischen Sprech- und Singstimme? „Das ist schwer zu beantworten“, sagt Matthias Echternach und richtet den Blick dabei zunächst auf unsere Gehirnaktivität. „Das Sprachsystem des Menschen ist sehr stark in der linken Gehirnhälfte verankert, Musikalität und Prosodie, also Sprachmelodie, aber mehr in der rechten. Was die Koordination angeht, haben wir in beiden Fällen das gleiche System vor uns.“ Ein großer Unterschied allerdings resultiert aus dem größeren Konsonantenreichtum der Sprech- gegenüber der Gesangsstimme. Beim Sprechen sind wir in der Lage, viele unterschiedliche Vokale an Konsonanten in kürzester Zeit zu modulieren, die Stimmgebung ist sehr effektiv auf eine hohe Informationsdichte eingestellt. Dafür ist die Sprechstimme in Sachen Lautstärke und Tonhöhe reglementiert. „Beim Singen habe ich Zeit, zu koordinieren. So kann ich auf einmal ganz leise oder ganz laute Töne bilden, und selbst bei gleichen Vokalen unterschiedliche Klangfarben erzeugen“, sagt Matthias Echternach, der neben seiner Lehrtätigkeit an der Ludwig-Maximilians-Universität München als Tenor in Gesangsensembles wie dem Kammerchor Stuttgart singt. „Das ist dann auch das, was bei der Gesangsstimme auch die Emotionen überträgt: die Inhalte, die nicht unbedingt im Text stehen.“

Während die einen unter der Dusche singen, tun es die anderen auf der Bühne. Doch was genau unterscheidet den professionellen Gesang von dem der Amateur:innen? „Da gibt es kein Schwarz-Weiß, sondern sehr viele Graustufen dazwischen“, meint der Experte. „Auf jeden Fall ist das Singen sehr tief in uns verwurzelt, und selbst Fachleute können nicht sagen, ob wir Menschen zuerst gesprochen oder zuerst gesungen haben. Mit der Stimme ist es wie mit den Beinen: Alle können gehen – und dann gibt es noch diejenigen, die einen Marathonlauf bei den Olympischen Spielen absolvieren.“ Was professionellen Gesang ausmacht, ist zunächst eine Frage des Genres. Bei Opernsänger:innen kommen mehrere Faktoren zusammen. „In einer klassischen Gesangsausbildung lernt man, eine extreme Ökonomie zu bedienen“, sagt Matthias Echternach. „Schließlich muss man ohne Verstärkung ein ganzes Opernhaus mit seiner Stimme füllen können.“ Mit anderen Worten: Es geht zunächst um Lautstärke. „Diese wird zum einen durch die Mechanik gesteuert, zum anderen aber auch durch den Luftfluss und schlussendlich durch die Resonanzen. Sänger trainieren die ganze Zeit diese Resonanzeinstellungen, um möglichst viel Effektivität herauszuholen.“ 

Ein weiterer wichtiger Aspekt betrifft die Sollbruchstellen in unserer Stimme. „Wenn ich die tiefste Frequenz nehme und die höchste, dann ist es ein Irrglaube zu denken, dass alles von oben bis unten gleichmäßig durchgeht“, erklärt Matthias Echternach. „Wir haben so genannte Register, in deren Grenzregionen die Stimme häufig wegbricht. Was man beim Jodeln genüsslich auskostet, versucht man im klassischen Training komplett zu überwinden.“ Eher in fließender als gebrochener Linie verlaufen die Grenzen der einzelnen Stimmfächer – also dem, was einem im Opernführer vielleicht schon als „Heldentenor“, „lyrischer Koloratursopran“ oder „Charakterbass“ über den Weg gelaufen ist. „Im klassischen Verlauf wird die Stimme immer schwerer“, sagt Echternach. „Als Opernsänger:in fängt man üblicherweise mit Mozart-Partien an und landet in späteren Jahren bei Verdi oder Wagner. Was wir beobachtet haben: Mit ungefähr 35 hat die Leistungsfähigkeit von Sänger:innen ihren Höhepunkt erreicht. Warum das so ist, darauf habe ich keine eindeutige Antwort. Jedenfalls sollte man davor möglichst seine Finger vom schweren, so genannten hochdramatischen Fach lassen.“ Wie bei jedem Instrument gilt eben auch für die Stimme, dass man sie schonend behandeln sollte – und das nicht nur als Profi. Der falsche Gebrauch kann Schäden verursachen, die sich in extremen Fällen nur schwer beheben lassen. Das wäre schade angesichts eines solchen Wunderwerks, das uns Menschen eigentlich erst zu dem macht, was wir sind.

Über den Autor

Stephan Schwarz-Peters arbeitet als freischaffender Journalist und Redakteur u. a. für das Tonhalle Magazin, die Philharmonie Köln sowie die Magazine Rondo und Oper!