Um psychische und körperliche Erkrankungen zu lindern, nutzen viele Kliniken in Deutschland die Musiktherapie – deren Wirksamkeit inzwischen wissenschaftlich gut belegt ist. Dennoch erstatten Krankenkassen musiktherapeutische Anwendungen im ambulanten Bereich bisher nicht. „Das muss sich dringend ändern, auch mit Blick auf vulnerable Gruppen, die auf diese Therapieform besonders angewiesen sind“, fordert Professor Dr. Lutz Neugebauer im Vorfeld des 13. Europäischen Musiktherapie-Kongresses, der vom 23. bis 27. Juli 2025 in Hamburg stattfindet. Hintergründe dazu erläutert der Experte auf der Vorab-Online-Pressekonferenz am 15. Juli 2025.

Schon seit der Antike wird der Musik gesundheitliche Heilkraft zugesprochen. Doch es dauerte noch etliche Jahrhunderte, bis Musik als Therapie institutionalisiert wurde – die erste stationäre Anwendung erfolgte in Deutschland in den 1950er Jahren, zunächst vor allem in psychiatrischen Kliniken. „Heute gehört die Musiktherapie im stationären Bereich zum bewährten Behandlungskonzept etwa bei Angststörungen, Depressionen und Suchtproblematiken oder bei Folgen von Einsamkeit und Isolation“, sagt Neugebauer, Vorstandsvorsitzender der Deutschen Musiktherapeutischen Gesellschaft (DMtG) und Mit-Organisator der 13th European Music Therapy Conference. Auch bei neurologischen Erkrankungen wie Multiple Sklerose, Morbus Parkinson oder zur Rehabilitation nach Schlaganfällen kommt Musiktherapie zum Einsatz.

Wirksamkeit bei Krebserkrankungen und Demenz

Wie effektiv Musiktherapie hilft, ist in den vergangenen Jahren verstärkt erforscht worden. Seit dem letzten internationalen Musiktherapie-Kongress in Deutschland, dem 8. Weltkongress in 1996, sind der medizinischen Datenbank Pub Med zufolge fast 9000 Fachartikel zur Musiktherapie erschienen, darunter etwa 1500 randomisierte, kontrollierte Studien und 360 systematische Übersichtsarbeiten und Metaanalysen. „Es liegt gute Evidenz für die Wirksamkeit vor“, betont Neugebauer. So trägt die Musiktherapie bei der Behandlung von Menschen, die eine Krebsdiagnose haben, nachweislich zur Linderung der psychischen Begleiterscheinungen wie Depressionen und Angst bei. Auch die die S3-Leitlinie Demenzen empfiehlt Musiktherapie zur Behandlung von psychischen Begleiterscheinungen wie Angst, Unruhe und Apathie.

Musiktherapie überwindet Sprachbarrieren – auch bei Kindern

Kinder, eine besonders vulnerable Gruppe, profitieren ebenfalls erfolgreich von musiktherapeutischen Anwendungen. „Bei Frühgeborenen stärkt Musiktherapie erwiesenermaßen die Bindung zwischen Eltern und Kind, einem der wesentlichen Indikatoren für eine bessere Entwicklung nach einem schwierigen Start ins Leben“, berichtet Neugebauer. Bei Kindern mit Entwicklungsverzögerungen unterstützt Musiktherapie die Sprachentwicklung. „Wirksam ist die Musiktherapie insbesondere auch für Jugendliche und junge Erwachsene, die traumatische Erfahrungen durch familiäre Gewalt, Flucht oder Krieg gemacht haben“, ergänzt der DMtG-Vorsitzende. „Hier findet die Musiktherapie Zugänge jenseits der Muttersprache und überwindet Sprachbarrieren.“ Musiktherapie ist generell das Mittel der ersten Wahl in allen Fällen, in denen Sprache an ihre Grenzen stößt – etwa auch bei Menschen mit Einschränkungen.

IQWiG stellt soziale Benachteiligung fest

Doch trotz der wissenschaftlichen Evidenz und positiven praktischen Erfahrungen seien die Forderungen nach einer Verankerung der Musiktherapie als ambulante Regelleistung bisher politisch nicht aufgegriffen worden, bedauert Neugebauer. Bereits seit 2011 steht diese Forderung im Raum – zum Beispiel im Abschlussbericht der Unabhängigen Beauftragten zur Aufarbeitung des sexuellen Kindesmissbrauchs, Dr. Christine Bergmann. Darüber hinaus konstatiert das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) in einem Gutachten aus dem Jahr 2019 eine soziale Benachteiligung, weil im ambulanten Bereich derzeit nur einkommensstärkere Schichten die Leistung Musiktherapie privat tragen können. „Ein Gesundheitswesen, in dem das Leitprinzip ‚ambulant vor stationär‘ gilt, muss endlich die Zugänge zur Musiktherapie auch in der ambulanten Versorgung für alle sicherstellen und Krankenkassen die Kostenübernahme ermöglichen“, betont Neugebauer.

Expert*innen aus mehr als 40 Ländern in Hamburg erwartet

Auf dem 13. Europäischen Musiktherapie-Kongress, der vom 23. bis 27. Juli 2025 in Hamburg stattfindet, präsentieren mehr als 200 Referierende aus über 40 Ländern neue wissenschaftliche Ergebnisse zur Musiktherapie. Erwartet werden fast 1000 Kongressteilnehmende, etwa 700 vor Ort und weitere 250 online. Die Deutsche Musiktherapeutische Gesellschaft, allen anderen Musiktherapieverbände, die Hochschule für Musik und Theater und die Medical School Hamburg richten den Kongress gemeinsam aus. Informationen zum Kongress-Programm unter www.emtc2025.de

Online-Vorab-Pressekonferenz

Termin: Dienstag, 15. Juli 2025, 11.00 bis 12.00 Uhr
Link zur Anmeldung: https://attendee.gotowebinar.com/register/3428757090223426400

Themen und Referierende

Vom Frühgeborenen bis zur Palliativstation – 
wo Musiktherapie überall zum Einsatz kommt
Plus: Ausblick auf die 13. Europäische Musiktherapie-Konferenz „Bridges“
Professor Dr. Lutz Neugebauer
Vorstandsvorsitzender Deutsche Musiktherapeutische Gesellschaft (DMtG); 
Leiter des Nordoff-Robbins-Zentrums Witten

Machen Musik und Kunst gesund? 
Ergebnisse der WHO-Studie zur Wirksamkeit der Künstlerischen Therapien
Professorin Dr. phil. habil. Sabine C. Koch
Professur für Empirische Forschung in den Künstlerischen Therapien, Alanus Hochschule Alfter; Forschungsinstitut für Künstlerische Therapien, SRH Hochschule Heidelberg; 
University of Melbourne, Faculty of Fine Arts

Patientinnen und Patienten in Not – 
warum wir die Profession „Musiktherapie“ dringend gesetzlich regeln müssen
Mona Dittrich
Musiktherapeutin am SRH Klinikum Sigmaringen, Akutpsychiatrie; 
Vorstandsmitglied der DMtG sowie
Beatrix Evers-Grewe
Vorsitzende der Bundesarbeitsgemeinschaft Künstlerische Therapien (BAG KT), Berlin

Warum ich die Musiktherapie unterstütze
Till Brönner
International bekannter Jazztrompeter, Komponist und Fotograf, Berlin; Professor für Jazz/Rock/Pop Trompete an der Hochschule für Musik Carl Maria von Weber, Dresden

Moderation: 
Kerstin Ullrich, Pressestelle DMtG, Berlin