Schätzungsweise an jeder dritten deutschen Klinik sind Musiktherapeutinnen und -therapeuten beschäftigt, vor allem in psychiatrischen und psychosomatischen Abteilungen. Obwohl die Therapeut*innen oft mit vulnerablen Patient*innen arbeiten, sind die Anforderungen an die Ausbildung zur Musiktherapeut*in immer noch vollkommen ungeregelt. Warum die Deutsche Musiktherapeutische Gesellschaft (DMtG) dringend an die Politik appelliert, ein Berufsgesetz und eine eigene G-BA-Richtlinie für die Musiktherapie auf den Weg zu bringen, erläutern Expertinnen am 15. Juli 2025 auf der Vorab-Online-Pressekonferenz zum 13. Europäischen Musiktherapie-Kongress.
Eine Auswertung der Klinik-Qualitätsberichte im Jahr 2010 ergab, dass 31 Prozent der deutschen Krankenhäuser Musiktherapie vorhalten. Auch wenn die meisten Musiktherapeut*innen stationär in der Psychiatrie arbeiten, ist die Spanne der Anwendungsgebiete breit – sie reicht von Depression und Demenz über Frühgeburt, Krebs und Schlaganfall bis hin zu chronischen Schmerzen. Genaue Zahlen, wie viele Musiktherapeut*innen bundesweit tätig sind, liegen nicht vor. „Im Verband DMtG sind 1.600 Musiktherapeut*innen organisiert“, berichtet Beatrix Evers-Grewe, Vorstandsmitglied der DMtG und Vorsitzende der Bundesarbeitsgemeinschaft Künstlerische Therapien (BAG KT). „Damit sind jedoch nicht alle erfasst, die Musiktherapie anbieten.“
Blockade durch Verfahrensproblem beim G-BA
Dies gilt insbesondere für den ambulanten Bereich, der derzeit nur von Selbstzahlenden in Anspruch genommen werden kann. Denn Musiktherapie wird zwar als stationäre Leistung von den gesetzlichen Krankenkassen erstattet, nicht aber im ambulanten Bereich. „Das muss sich ändern, denn viele Patientinnen und Patienten, die in der Klinik oder Reha von der Musiktherapie profitierten, stehen nach ihrer Entlassung vor Problemen“, so Evers-Grewe. Für die Regelung der Erstattungsfähigkeit ist der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) zuständig. Dort tut sich jedoch eine Hürde auf: Der G-BA hatte die Musiktherapie vor Jahrzehnten von der Erstattung ausgeschlossen – wie dies nun wieder rückgängig gemacht werden kann, ist unbekannt. „Wir benötigen deshalb einen Anstoß aus der Politik, damit der G-BA eine eigene Richtlinie für die Musiktherapie erlässt“, sagt Evers-Grewe.
Musiktherapeut*in nach einem Wochenend-Seminar?
Ebenso wichtig wie die Erstattungsfähigkeit der Musiktherapie ist den Expertinnen die berufsrechtliche Regelung der Profession. „Heute kann sich im Prinzip jede und jeder nach einem Wochenend-Seminar Musiktherapeut*in nennen und ein Zertifikat vorlegen“, sagt Mona Dittrich, Vorstandsmitglied der DMtG und Musiktherapeutin am SRH Klinikum Sigmaringen. „Unser Ziel ist deshalb, ein Berufsgesetz für die Musiktherapie auf den Weg zu bringen, eine klar definierte, geschützte Berufsbezeichnung mit bindenden Ausbildungsanforderungen.“ Ein solches Berufsgesetz könnte parallel zur G-BA-Richtlinie durch die Politik eingebracht werden.
Mindestens ein Bachelor-Abschluss
Mindestanforderung an die Ausbildung sollte der Bachelor-Abschluss sein. „Inhaltlich umfasst die Ausbildung unter anderem Gesprächsführung, Entwicklungspsychologie, klinische Psychologie und Selbsterfahrung“, berichtet Dittrich. „Dazu kommt die musikalische Ausbildung in verschiedenen Instrumentengruppen und die Vermittlung, wie man Instrumente gezielt musiktherapeutisch einsetzt.“ Derzeit bieten die SRH University of Applied Sciences Heidelberg und die Medical School Hamburg Bachelor-Studiengänge für Musiktherapie an. Die Studiengebühren für die gesamte Studiendauer belaufen sich auf einen fünfstelligen Betrag.
Musik kann Heilung fördern, aber auch schaden
Ein Berufsgesetz, betont Dittrich, diene in erster Linie der Sicherheit der Patientinnen und Patienten. „Musik ist ein unglaublich kraftvolles Medium, sie kann starke Gefühle auslösen“, erläutert die Musiktherapeutin. „Und Menschen in akuten Krisen sind auf der emotionalen Ebene besonders angreifbar.“ So hätten Menschen mit Fluchterfahrung, etwa Kinder aus der Ukraine, oft negative Erfahrungen mit Lautstärke gemacht, bei Demenzerkrankten wiederum könne Musik belastende Erinnerungen an Kriegslieder oder Gesänge in der NS-Zeit aktivieren, viele Patientinnen und Patienten in der Akutpsychiatrie seien darüber hinaus suizidgefährdet oder traumatisiert. „Musik kann Heilung unterstützen, aber auch schaden, wenn sie nicht fachgerecht eingesetzt wird“, fasst Dittrich zusammen. Der therapeutische Umgang damit gehöre unbedingt in qualifizierte Hände.
Die beiden Expertinnen diskutieren diese Themen auf der Vorab-Online-Pressekonferenz zum 13. Europäischen Musiktherapie-Kongress am 15. Juli 2025 in der Zeit vom 11.00 bis 12.00 Uhr.
Informationen zum Kongress-Programm unter www.emtc2025.de.