von Olaf Zimmermann, Geschäftsführer des Deutschen Kulturrates und Mitglied der Enquete-Kommission des Bundestages "Kultur in Deutschland"

Das Land Nordrhein-Westfalen machte den Auftakt. Kulturminister Vesper kündigte im vergangenen Monat an, alle Projektförderungen im Kulturbereich zu streichen, um anschließend einzelne Fördermaßnahmen erneut zu begründen. Damit war der Ton angestimmt, der die Diskussion um die Kulturförderung in den Ländern begleitet. In Berlin klingt das öffentliche Streichkonzert besonders schrill: der Haushalt ist schlicht verfassungswidrig. Ein Umstand, der dem als Sparkommissar berüchtigten Finanzsenator und ganz zu pass kommen mag. Nur noch den Pflichtaufgaben wird nachgekommen, alle freiwilligen Leistungen werden auf das Mindestmaß heruntergefahren.Erstaunlicherweise ist der Kulturbereich auf die jetzigen und noch anstehenden Einsparungen erschreckend schlecht vorbereitet. Zu lange scheint man sich auf die Position zurückgezogen zu haben, dass es einen allgemeinen Konsens zur Kulturförderung gibt. In den vergangenen fünf Jahren wurde zwischen dem Bund und den Ländern ausgiebig darüber gestritten, ob der Bund überhaupt im Kulturbereich fördern darf, anstatt darüber nachzudenken, die Kulturförderung des Bundes, der Länder und Kommunen als solche fundiert zu begründen.

Die verfassungsrechtlichen Grundlagen zur Kulturförderung sind in einigen Ländern relativ dürftig, das gilt in besonderm Maß für Berlin. Die Berliner Verfassung besagt lediglich: "Das Land schützt und fördert das kulturelle Leben" (Art. 20 § 2). Es gibt keine Verpflichtung, den Zugang zu Kultureinrichtungen zu ermöglichen und deshalb ein Mindestmaß an kultureller Infrastruktur zu erhalten. Anders beim Sport, wo die Berliner Verfassung klar vorschreibt: "Sport ist ein förderungswürdiger und schützenswerter Teil des Lebens. Die Teilnahme am Sport ist allen Bevölkerungsgruppen zu ermöglichen." (Art. 32) In Bayern dagegen gibt es klare verfassungsrechtliche Vorgaben für die Kulturförderung: "Kunst und Wissenschaft sind von Staat und Gemeinde zu fördern. Das kulturelle Leben und der Sport sind von Staat und Gemeinden zu fördern".

In Berlin wird es also schwierig werden, aus den verfassungsrechtlichen Vorgaben eine Pflicht zu Kulturförderung abzuleiten. Nützlich immerhin könnte der deutsch-deutsche Einigungsvertrag werden, der verlangt, dass die kulturelle Substanz im Beitrittsgebiet, also den neuen Ländern und Ost-Berlin, keinen Schaden nehmen darf. Berlin hat ja in der Kulturförderung besonders schwere Aufgaben zu schultern. Ost- und Westberlin waren zuvor für ihre Staaten kulturelles Aushängeschild, Kultur wurde auf einem vergleichsweise hohen Niveau gefördert. Durch die doppelt vorhandenen Strukturen, das Erbe Preußens, die Hauptstadtfunktion seit Anfang der 90er Jahre, die geringe Wirtschaftskraft und die besondere Situation eines Stadtstaates steht Berlin vor einer Gemengelage in der Kulturförderung, die einem gordischen Knoten gleicht, der bis heute nicht durchschlagen werden konnte. So ist auch die zusätzliche Übernahme der Akademie der Künste und der Betriebskosten für den Hamburger Bahnhof durch den Bund im Tausch zur Errichtung der Opernstiftung mit einer Morgengabe von drei Millionen Euro nur der berühmte Tropfen auf den heißen Stein.

Es wird vielmehr erforderlich sein, inhaltliche und gesetzliche Begründungen zur Förderung der Kultur nicht nur für Berlin zu liefern. Der verfassungsrechtlich garantierte allgemeine Zugang zu Bildung könnte eine solche Begründung sein. Kultureinrichtungen sind nicht l art pour l art. Kultureinrichtungen nehmen auch einen Bildungsauftrag wahr, manche mehr, manche weniger. Da die kulturelle Bildung von Kindern und Jugendlichen durch das Kinder- und Jugendhilfegesetz geregelt ist, bietet sich hier ein Begründungsstrang an, der von den Kultureinrichtungen aber inhaltlich gefüllt werden muss. Es wird aber nicht helfen, aus der Not einige Angebote für Kinder und Jugendliche ins Leben zu rufen. Es muss dahinter ein konsistentes Konzept stehen.

Genau dieses - eine inhaltliche Bestimmung des Auftrags von Kultureinrichtungen, eine qualitative Beschreibung und letztlich eine Festlegung, ob diese Aufgabe durch die öffentliche Hand oder privat gefördert werden sollte - das ist die Aufgabe. Kulturförderung muss neu begründet und dann gesetzlich fixiert werden. Das Bedauerliche an diesem Begründungsnotstand ist, dass die Diskussion unter dem Fallbeil der knappen öffentlichen Kassen geführt werden muss.