Unterschiedliche Formen des musikalischen Wettstreits lassen sich in Geschichte und Gegenwart der meisten Kulturen nachweisen; ein institutionalisiertes Wettbewerbswesen hat sich in Europa seit dem 19. Jahrhundert herausgebildet. Im Zuge der rasanten Weiterentwicklung instrumentaler und vokaler Virtuosität standen dabei Interpretationswettbewerbe vor allem in den Kategorien Gesang, Klavier und Violine im Vordergrund.
Wesentliche allgemeine Ziele von Musikwettbewerben sind die Entdeckung musikalischer Talente und die Förderung der Karrieren junger Künstler:innen. Darüber hinaus prägen künstlerische, kulturpolitische, pädagogische, gesellschaftliche und ökonomische Interessen die unterschiedliche Ausrichtung der einzelnen Wettbewerbe. Während für die Teilnahme an einem Wettbewerb in der Regel eine Bewerbung bzw. Anmeldung erforderlich ist, kommt eine Eigenbewerbung für Preise und Auszeichnungen üblicherweise nicht in Frage. Auch Musikpreise dienen der Auszeichnung herausragender künstlerischer Leistungen, der Förderung des musikalischen Nachwuchses sowie der Anerkennung der musikalischen Arbeit im professionellen, semiprofessionellen und Amateurbereich. Ein drittes wesentliches Instrument der musikalischen Nachwuchsförderung sind Stipendien. [1]
Historische Entwicklung
Das Konzept des musikalischen Wettstreits ist in nahezu allen Musikkulturen geläufig und geht bis auf die Antike zurück. In der Neuzeit haben musikalische Duelle zwischen berühmten Virtuosen vor allem auf Tasteninstrumenten (Orgel, Cembalo, Klavier) eine lange Tradition. Legendäre historische Beispiele bilden die Wettspiele zwischen Domenico Scarlatti und Georg Friedrich Händel, Muzio Clementi und Wolfgang Amadeus Mozart oder Sigismund Thalberg und Franz Liszt. Die systematische Erforschung der historischen Entwicklung solcher musikbezogener Konkurrenzen befindet sich noch immer im Anfangsstadium. [2] Als der älteste dauerhaft institutionalisierte, jährlich ausgeschriebene Musikpreis gilt der von der Académie de France verliehene Prix de Rome (Rompreis), der in der Sparte Komposition seit 1803 vergeben wird und die drei für die heutige Musikförderung wesentlichen Dimensionen des Wettbewerbs, des Musikpreises und des Stipendiums in sich vereinigt. [3] Im Laufe des 19. Jahrhunderts entwickelten sich musikbezogene Wettbewerbskulturen im Zuge der Profilierung der nationalen Musikkulturen und fanden auf den Weltausstellungen des 19. Jahrhunderts auch ein internationales Forum. [4] Chorwettbewerbe kamen zuerst im 1830 begründeten Nationalstaat Belgien in Mode und fanden sodann vor allem in Deutschland weite Verbreitung. [5] 1879 stifteten die Familie Mendelssohn und der preußische Staat den Mendelssohn-Preis, der jährlich „ohne Unterschied des Alters, des Geschlechts, der Religion und der Nationalität“ in den Kategorien Komposition und ausübende Tonkunst an Studierende der Berliner Hochschule für Musik und der preußischen Konservatorien in Köln und Frankfurt verliehen wurde. [6] Erster Kompositionspreisträger war 1879 der ehemalige Kölner Student Engelbert Humperdinck. 1882 wurde mit der Geigerin Marie Ernestine Soldat erstmals eine Frau ausgezeichnet. Auch in den folgenden Jahren erhielten viele Frauen den Mendelssohn-Preis, darunter die Violinistinnen Gabriele Wietrowetz (1883 und 1885), Erna Schulz (1901 und 1902), Pálma von Pászthory (1904) und Helene Ferchland (1905), die Pianistinnen Frieda Hodapp (1898) und Elly Ney (1900) sowie die Cellistin Sara Gurowitsch (1906).
In größerem Maßstab siedelten sich vor allem nach dem Ersten Weltkrieg in fast allen europäischen Metropolen namhafte Musikwettbewerbe an, darunter der 1927 begründete Chopin-Klavierwettbewerb in Warschau, die 1932 initiierten Internationalen Musikwettbewerbe in Wien oder der erstmals 1937 als Violinwettbewerb ausgetragene Concours Eugène Ysaÿe in Brüssel, heute Concours Reine Elisabeth (mit den Kategorien Violine, Klavier, Violoncello und Gesang).
Die Entwicklung des Wettbewerbsgedankens zu einem generellen pädagogischen Prinzip geht auf das Preissystem des Pariser Konservatoriums zurück und setzte sich in den musikalischen Ausbildungssystemen des 20. Jahrhunderts auch international weithin durch. In der ehemaligen Sowjetunion wurde das Wettbewerbsprinzip seit den 1920er Jahren systematisch in die musikpädagogische Förderung und Begabtenauslese eingeführt und später von anderen sozialistischen Ländern übernommen. Dieses System konnte im internationalen Vergleich bedeutende Erfolge verbuchen. Auch in der ehemaligen DDR gab es eine umfassende Wettbewerbskultur, u. a. mit einem System von „Leistungsvergleichen der Musikschulen“ und „Leistungsvergleichen junger Talente“ auf Kreis-, Bezirks- und staatlicher Ebene im Rahmen der sogenannten „Talentebewegung“. In der Bundesrepublik Deutschland übernahm der Deutsche Musikrat die nationale Koordination der musikalischen Förderinstrumente und Wettbewerbe, insbesondere mit den 1963/64 begründeten Nachwuchswettbewerben Jugend musiziert. [7] Für den professionellen Musiknachwuchs ist der 1975 begründete Deutsche Musikwettbewerb (DMW) der nationale Wettbewerb mit dem breitesten Förderspektrum.
„Die Entwicklung der Wettbewerbslandschaft ist vor allem seit den 1980er Jahren durch eine rasante Zunahme an Veranstaltungen gekennzeichnet.“
Organisation, Ausschreibungsradien, Funktionen und Leistungsniveaus
Vor allem drei Faktoren bestimmen die Wettbewerbslandschaft: der Ausschreibungsradius, die Altersstufen und das Leistungsniveau. Der Ausschreibungsradius definiert die territoriale oder institutionelle Zuordnung der Adressatenkreise. Grundsätzlich lassen sich hierbei internationale, bundes- und landesweite, regionale und kommunale Wettbewerbe und Preise unterscheiden. So befinden sich unter den rund 300 Wettbewerben mit Sitz in Deutschland, die das Deutsche Musikinformationszentrum (miz) neben bedeutenden im Ausland ausgetragenen internationalen Wettbewerben in seiner Datenbank verzeichnet, etwas weniger als die Hälfte Wettbewerbe für einen internationalen Teilnehmerkreis, gefolgt von knapp 100 landesweiten Wettbewerben. [8] An der Spitze der landesweit ausgeschriebenen Wettbewerbe stehen die Bundesländer Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen, die mit 11 bzw. 10 regelmäßig veranstalteten Wettbewerben die meisten im Bundesvergleich ausrichten.
Neben geografischen und Leistungskriterien können Nationalität, Altersgrenzen oder spezifische Repertoires den potenziellen Teilnehmerkreis eines Wettbewerbs einschränken. Die Leistungsniveaus gliedern sich in professionelle, semiprofessionelle und amateurmusikalische Wettbewerbe, die wiederum nach Altersstufen differenziert sein können. Wettbewerbe für Kinder und Jugendliche dienen vor allem dem Ziel der Begabtenfindung und -förderung. Im Rahmen eines Forschungsprojekts sind 2020 die Lebenswege ehemaliger Teilnehmender am Wettbewerb „Jugend musiziert“ eingehend untersucht worden. [9] Dieser Studie zufolge schreiben drei Viertel der Befragten (75 Prozent) dem Wettbewerb „eine positive Wirkung auf ihre musikalische Entwicklung zu. Gemischt positive und negative Erfahrungen geben 15 Prozent an, nur drei Prozent geben eher negative Wirkungen an. Alters- oder Geschlechterunterschiede konnten nicht festgestellt werden.“ [10] Auf die Frage, welche Rolle die Wettbewerbsteilnahme für die berufliche Laufbahn gespielt hat, wurden fünf unterschiedliche Bereiche besonders häufig genannt, nämlich der „Erwerb von Soft Skills (z. B. Auftritts-, Wettbewerbs- und Prüfungstraining; Erwerb von Disziplin und Durchhaltevermögen; Zielorientierung; Teamarbeit; konstruktive Kommunikation und Lernen von anderen; Umgang mit Leistungsdruck, Nervosität, Konkurrenz etc.)“, die „musikalische Förderung (z. B. realistische Selbsteinschätzung; musikalische Förderung durch Folgeprojekte; Motivation zum Üben und Ansporn, besser zu werden; Erfolgserlebnisse und Bestätigung etc.)“, die „Entscheidungshilfe für die eigene berufliche Orientierung (z. B. Entscheidung für oder gegen den Musikerberuf; Vorteile in Bewerbungsgesprächen etc.)“, die „Stärkung von Selbstbewusstsein, Persönlichkeitsentwicklung und Persönlichkeitsbildung“ sowie schließlich das Knüpfen von Kontakten und Freundschaften. [11]
Im Wesentlichen bestätigen sich hier die Ergebnisse einer älteren repräsentativen Befragung, bei welcher die Teilnehmenden (in Abhängigkeit von der Häufigkeit der Nennungen) folgende Hauptfunktionen des Wettbewerbs angegeben haben: „Vergleich von Leistung zur eigenen Standortbestimmung, Ansporn (Animation) zu weiterer Anstrengung (unabhängig von Erfolg und Platzierung), Erweiterung des instrumentalen und musikalischen Horizontes durch das Hören anderer Teilnehmer (Repertoire und Interpretation), Bestätigung für eine harte und lange Zeit des Übens, Kommunikation zwischen Gleichgesinnten, denen Musik fast alles bedeutet, Erfahrungsbereicherung durch eigene Vorspiele vor, während und nach den Wettbewerben, Leistungssteigerung und Entwicklungsschub durch Intensivarbeit an den Wettbewerbsstücken, Zugewinn an Selbstvertrauen durch eine Bestätigung von außen und, damit einhergehend, die frühe Entscheidung für den Musikerberuf.“ [12]
Die Vielfalt der Wettbewerbe spiegelt zugleich die unterschiedlichen Funktionen und Legitimationen, die diese zu erfüllen suchen. Der Professionalisierung dienen vor allem Hochschulwettbewerbe zur Förderung des musikstudierenden Nachwuchses, sodann solche, die sich primär an Hochschulabsolventen richten. Insgesamt ergibt sich aus der Vielzahl an Musikwettbewerben eine pyramidale Struktur, an deren Spitze die weltweit ausgeschriebenen vollprofessionellen Wettbewerbe stehen. Hierbei handelt es sich um die über 120 Mitgliedswettbewerbe der World Federation of International Music Competitions (WFIMC). [13] Internationale Wettbewerbe können ebenfalls geografische Einschränkungen aufweisen (z. B. Europa, die Staaten der Europäischen Union oder andere multilaterale oder bilaterale Kooperationen). Daneben steht eine Reihe von Wettbewerben im Bereich des Amateurmusizierens sowie regionale und kommunale Wettbewerbe, die jedoch aufgrund ihrer Vielzahl und Fluktuation ebenso problematisch zu erfassen wie ihre Erfolge zu evaluieren sind. Institutionelle Wettbewerbe richten sich lediglich an die Angehörigen einer bestimmten Institution (z. B. Hochschule, Verband, Verein) und haben in der Regel eine geringere Aussagekraft. Wesentlich für die Bedeutung und Ausstrahlung von Wettbewerben, Preisen und Stipendien ist ihre regelmäßige Ausschreibung bzw. Vergabe (z. B. jährlich, alle zwei, drei, vier oder fünf Jahre).
Veranstalter und Profile
Träger und Veranstalter von Musikwettbewerben, Preisen und Stipendien sind sowohl Institutionen der öffentlichen Hand und gemeinnützige Organisationen als auch private Stifter und Investoren. Unter den mit öffentlichen Mitteln finanzierten Trägern spielen Kulturverwaltungen, Kommunen, Ausbildungsstätten, Kulturorganisationen, Theater und Orchester sowie öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalten eine zentrale Rolle. Jüngstes Beispiel ist der von der Initiative Musik 2021 erstmals vergebene Deutsche Jazzpreis. Private Träger können Stiftungen, Konzertveranstalter, Unternehmen sowie Einzelpersonen sein. Die künstlerischen bzw. inhaltlichen Profile der einzelnen Wettbewerbe variieren sehr stark. Neben der Ausrichtung auf bestimmte Instrumente, Instrumentengruppen oder Ensembles können dabei Komponisten, Werkgattungen, Epochen, Stilbereiche oder Musizierformen im Vordergrund stehen. Zahlreiche Wettbewerbe, Preise und Stipendien sind nach individuellen Persönlichkeiten benannt, die entweder als musikalische Leitbilder zur künstlerischen oder lokalen bzw. regionalen (auch touristischen) Profilierung dienen oder aber die Stifter in Erinnerung rufen sollen. Für den Jugendbereich sind in Deutschland die Wettbewerbe „Jugend musiziert“ prägend, die in unterschiedlichen Altersklassen und vielfältigen Instrumenten- und Besetzungskategorien regional, landesweit und national ausgetragen werden.
Kategorien
Die Wettbewerbe lassen sich nach Kategorien (Instrumenten, Gesang, Instrumentengruppen, Ensembles, u. a.) sortieren. Die Verteilung der Wettbewerbe nach einzelnen Kategorien und Bereichen lässt deutliche Schwerpunktbildungen erkennen. Zahlenmäßig stehen unter den vom miz erfassten Musikwettbewerben diejenigen für Gesang an erster Stelle, gefolgt von Tasteninstrumenten, Komposition und Streichinstrumenten. Auch Wettbewerbe im Bereich des Amateurmusizierens – für Ensembles oder einzelne Instrumente – sind zahlreich vertreten. Eine Sonderrolle spielen Wettbewerbe, die sich dem Werk einzelner Komponisten oder Interpreten widmen (z. B. Chopin, Bach, Beethoven oder Schubert). In der Kategorie Dirigieren verdient neben den Wettbewerben im engeren Sinne auch das Förderprogramm „Forum Dirigieren“ des Deutschen Musikrats eine besondere Erwähnung.
Neben den Wettbewerben und Preisen für musikalische Interpretation und Komposition sind eine Reihe anderer Musikpreise zu nennen, für die vor allem ein wirtschaftlicher Hintergrund von Bedeutung ist. Hierzu zählen manche Schallplattenpreise sowie der Deutsche Musikeditionspreis des Deutschen Musikverlegerverbands. Darüber hinaus werden u. a. von Hochschulen oder Forschungseinrichtungen Preise für musikpublizistische und musikwissenschaftliche Arbeiten vergeben.
Jury, Bewertungssysteme und Verfahren
Im Bereich der Instrumental- und Gesangswettbewerbe orientieren sich heute die meisten Veranstalter an den 1996 erstmals von der World Federation of International Music Competitions (WFIMC) verabschiedeten Empfehlungen über die Mindestanforderungen solcher Veranstaltungen. [14] Die Vergabegremien (Jurys) bestehen aus mindestens drei, zumeist aber wesentlich mehr fachkundigen Mitgliedern. In der Regel repräsentieren die Jurymitglieder die jeweiligen Wettbewerbskategorien, mitunter treten fachübergreifende Perspektiven hinzu (z. B. mit Dirigent:innen, Musikwissenschaftler:innen oder Medienprofis). Das Bewertungsverfahren wird in einem Reglement festgelegt, wobei seitens der Jury zwischen anonymer, halböffentlicher und öffentlicher Bewertung, jeweils nach einem bestimmten Punktesystem und zumeist unter strenger Berücksichtigung festgelegter Beurteilungskriterien (z. B. künstlerische Gestaltung, Technik, Präsentation, künstlerische Persönlichkeit) unterschieden wird. Die künstlerische Leistung selbst wird hingegen nur bei Kompositionswettbewerben anonymisiert. Umgekehrt zeichnet sich in jüngster Zeit eine (durchaus problematische) Tendenz ab, möglichst „interessante“ künstlerische Persönlichkeiten zu identifizieren, da nur diesen angesichts der immer höheren technischen und musikalischen Standards eine erfolgreiche internationale Karriere zugetraut wird. Dieser Trend hebt sich teilweise vom Bild des traditionellen Siegertypus ab, „der keine Fehler macht, über einen großen, raumfüllenden Ton verfügt, viel Energie (Power, Bühnenpräsenz) ausstrahlt, eine eher traditionsbewusste Interpretation abliefert.“ [15] Je nach Teilnehmerzahl und zeitlichem Umfang findet eine unterschiedliche Anzahl von Wettbewerbsdurchgängen statt, an deren Ende das Finale steht. Die Nominierung und die Anzahl der Preisträger:innen finden nach unterschiedlichen Verfahren statt, die für das spezifische Profil der einzelnen Veranstaltungen charakteristisch sind.
Eine Übersicht der international ausgerichteten Wettbewerbe stützt sich in erster Linie auf die Mitgliedswettbewerbe der WFIMC sowie der European Union of Music Competitions for Youth (EMCY). Die im Jahr 1957 gegründete WFIMC mit Sitz in Genf bietet als internationaler Fachverband ein Netzwerk weltweit anerkannter öffentlicher Musikwettbewerbe im Bereich klassischer Musik mit dem Ziel, junge Talente frühzeitig zu entdecken, zu fördern und den Fachjurys, der musikinteressierten Öffentlichkeit und den Medien zu präsentieren. Zu den weiteren Aufgaben der WFIMC zählen die Qualitätssicherung, die Wahrung hoher ethischer und professioneller Standards, die Vermittlung von positiven Wettbewerbsimages, die Förderung der Kommunikation zwischen Wettbewerben und Künstler:innen, die Schlichtung von Konflikten zwischen einzelnen Wettbewerben sowie die Veröffentlichung eines Jahrbuchs (Wettbewerbskalender) und anderer Medien. Derzeit gehören der WFIMC, die auch im International Music Council der UNESCO vertreten ist, über 120 internationale Musikwettbewerbe an. Im internationalen Vergleich ergibt sich eine starke Konzentration auf Europa, wo mehr als 70 Prozent aller in der WFIMC zusammengeschlossenen Veranstaltungen angesiedelt sind. Unter den Nationen stehen Deutschland mit 15, Italien mit 11, Japan mit neun, China mit acht, USA mit sieben, Frankreich mit sechs und Kanada und Schweiz mit jeweils fünf Wettbewerben an der Spitze. Unter den Staaten der Europäischen Union sind rund drei Viertel mit wenigstens einem Wettbewerb in der WFIMC vertreten. In der European Union of Music Competitions for Youth (EMCY) sind derzeit insgesamt 54 Europäische Jugendmusikwettbewerbe zusammengeschlossen. [16] Der 1970 in Brüssel gegründete Europäische Dachverband repräsentiert und fördert die in ihm zusammengeschlossenen Wettbewerbe und deren Preisträger. Zugleich setzt sich die EMCY für die Wahrung fairer Wettbewerbsbedingungen und die Sicherung hoher ethischer Standards ein. Ein wesentlicher Aspekt ist dabei die Zusammenführung junger Musiker:innen aus unterschiedlichen Ländern, Regionen und Kulturen. Neben diesen internationalen Verbänden bestehen zahlreiche unabhängige Informations- und Servicezentren mit teilweise spezialisierten Wettbewerbsschwerpunkten. Besonders umfassende Angebote im Bereich der Klavierwettbewerbe bietet die Alink-Argerich-Foundation. Der Netzwerkbetreiber Gustav Alink ist zugleich Verfasser einer vierbändigen Buchdokumentation internationaler Klavierwettbewerbe, die neben den einzelnen Veranstaltungen auch insgesamt rund 15.000 Preisträger verzeichnet. [17]
Reputation, Preisgelder und Anschlussmaßnahmen
Das Ansehen und der symbolische Wert von Wettbewerben und Musikpreisen hängen von unterschiedlichen materiellen wie vor allem auch immateriellen Faktoren ab. Die Höhe der Dotierung ist dabei oftmals von geringerer Bedeutung als das „symbolische Kapital“ (Pierre Bourdieu), etwa das Renommee des Stifters, der Jury oder der bisherigen Preisträger:innen. Bei Kompositionswettbewerben ist die Aufführung, Tonaufnahme oder Drucklegung prämierter Werke zumeist von größerer Bedeutung als ein Geldpreis, bei Interpretationswettbewerben stehen oftmals Anschlussmaßnahmen für Konzerteinladungen oder Medienkontakte im Vordergrund. Die Kriterien für eine Evaluierung von Wettbewerben und Preisen können insofern sehr unterschiedlich sein. Maßgeblich für die Aufnahme in das bis 2001 im Auftrag der Bundesregierung herausgegebene Handbuch der Kulturpreise waren die tatsächliche Auszeichnung und (in der Regel) materielle Förderung, die regelmäßige Vergabe auf der Grundlage gesicherter Statuten und Haushaltspositionen, die überregionale Ausstrahlung und die Ausrichtung auf professionelle Kulturschaffende. Seit 2001 werden die Preisträger:innen online verzeichnet. [18] Unter den in Deutschland verliehenen Kulturpreisen nimmt die Sparte Musik mit insgesamt 842 Auszeichnungen nach der Literatur (973), den Medien (961) und der Bildenden Kunst (924) den vierten Rang ein, gefolgt von Film (750), Darstellender Kunst (453), Design/Gestaltung (472) und Architektur (277). [19]
Die höchste Dotierung unter den deutschen Musikpreisen weist der Ernst von Siemens Musikpreis der Ernst von Siemens Musikstiftung mit insgesamt vier Millionen Euro auf (davon 250.000 Euro für den Hauptpreis). [20] Im Vergleich wesentlich geringer ist die Dotierung der führenden deutschen Musikwettbewerbe. Beim Internationalen Musikwettbewerb der ARD werden insgesamt Preisgelder in Höhe von 124.000 Euro vergeben. Generell sind bei professionellen internationalen Wettbewerben vier- bis fünfstellige Preisgelder üblich. Der bestdotierte Musikwettbewerb in Deutschland ist der Internationale Joseph Joachim Violinwettbewerb, der mit 30.000 Euro die höchste Geldsumme für den ersten Preisträger auslobt. [21] Bei regionalen oder semiprofessionellen Wettbewerben werden oftmals auch Sachpreise vergeben oder symbolische Anerkennungen (z. B. Trophäen, Medaillen, Ehrenringe, Pokale, Urkunden) verliehen. Eine besonders nachhaltige Wirkung entfalten Anschlussmaßnahmen wie die Vermittlung von Auftritten und Engagements, Medienproduktionen und Rundfunkübertragungen sowie unterschiedliche Fortbildungsmaßnahmen.
Stipendien
Die Vergabe von Stipendien dient in erster Linie der Förderung des (hochbegabten) musikalischen, musikpädagogischen und musikwissenschaftlichen Nachwuchses. Verglichen mit den bei Wettbewerben üblichen Preisgeldern haben Stipendien zumeist einen besonders hohen Nominalwert, da sie in der Regel über einen längeren Zeitraum regelmäßig gezahlt werden und der Sicherung des Lebensunterhalts der Laureaten dienen. Neben solchen Vollstipendien gibt es auch zahlreiche studien- und berufsbegleitende Stipendienprogramme, die neben oder anstelle einer finanziellen Förderung vor allem der Kontaktpflege und künstlerischen Weiterbildung dienen. In der Regel ist für Stipendien eine Eigenbewerbung erforderlich. Bei einzelnen Stipendien geht die Fördersumme mit einer hohen symbolischen Auszeichnung einher, etwa einem Künstleraufenthalt in der Deutschen Akademie Villa Massimo in Rom, in der Cité Internationale des Arts in Paris oder im Deutschen Studienzentrum Venedig. Ähnlich wie diese besonders prestigeträchtigen Institutionen knüpfen auch zahlreiche weitere Akademien die Stipendienvergabe an die persönliche Präsenz der Stipendiaten vor Ort während der gesamten Stipendienlaufzeit. Zugleich bieten sie neben der finanziellen Förderung sowie der Begegnung mit anderen Stipendiaten ein breites Spektrum weiterer Fortbildungsmaßnahmen, etwa die Vermittlung von Aufführungsgelegenheiten und Akademiekonzerten, Workshops, Probenräumen, Publikationsmöglichkeiten u. a. Auch einzelne Städte bzw. sonstige Institutionen gewähren einem „Composer in residence“ die Möglichkeit eines mit Ehrungen und Auflagen verbundenen künstlerischen Gastaufenthalts. Die Stipendienvergabe an Musiker:innen hat in Deutschland gegenüber den Wettbewerben im engeren Sinne historisch eine längere Tradition. Der Komponist und Berliner Generalmusikdirektor Giacomo Meyerbeer stiftete aus seinem Vermögen testamentarisch 1864 ein Kompositionsstipendium, das bis 1933 alljährlich an Absolventen der beiden preußischen Konservatorien in Berlin und Köln „gleichgültig welcher Religion und welchen Standes“ vergeben wurde. [22] Zahlreiche Vereinigungen und Stiftungen vergaben bereits seit dem 19. Jahrhundert Beihilfen und Stipendien, so etwa die 1838 beim Ersten Deutschen Sängerfest gegründete Frankfurter Mozart-Stiftung, der Allgemeine Deutsche Musikverein (1861), die Richard-Wagner-Stipendienstiftung Bayreuth (1882) oder die Robert-Schumann-Stiftung Zwickau (1920).
Tendenzen und Probleme
Die Entwicklung der Wettbewerbslandschaft ist vor allem seit den 1980er Jahren durch eine rasante Zunahme an Veranstaltungen gekennzeichnet, die sich nur noch schwer im Zusammenhang überblicken lassen und tendenziell eine Einebnung der Qualitätsmerkmale und Maßstäbe gerade niederschwelliger Veranstaltungen bewirkt hat. Diese Situation hat mitunter deutliche Kritik hervorgerufen. Zahlreiche Wettbewerbe verfolgen in erster Linie eigene wirtschaftliche Interessen, die etwa in einem Missverhältnis zwischen hohen Teilnahmebeiträgen und lediglich symbolischen Preisgeldern zum Ausdruck kommen können. Wettbewerbe, die ohne Publikum und vor einer wenig qualifizierten Jury stattfinden, haben oft nur vorbereitenden Charakter, indem sie die Teilnehmer mit Wettbewerbsvoraussetzungen vertraut machen. Gegenwärtig führt die starke Zunahme von Interpretationswettbewerben (insbesondere in der Sparte Klavier) oftmals zu einer einseitigen Ausrichtung junger Musiker:innen auf die spezifischen Turnieranforderungen, die einer freien Entfaltung der künstlerischen Persönlichkeit sowie der Erarbeitung eines vielseitigen Repertoires hinderlich sein können. So verausgaben sich viele junge Interpret:innen in langen Wettbewerbstourneen, deren Stationen nach Terminen, Programmanforderungen und Höhe des Preisgeldes gewählt werden. Problematisch ist auch die Vorauswahlpraxis zur Begrenzung der Teilnehmerzahl, da diese zumeist auf der Evaluierung bisheriger Wettbewerbserfolge basiert. Die psychischen Auswirkungen des Wettbewerbsdrucks und die Verarbeitung von Enttäuschungen können die Karriereentwicklung erheblich belasten. Als Gegenmodell zum Wettbewerbssystem wurden daher immer wieder Konzepte für konkurrenzfreie Begegnungen zwischen jungen Musiker:innen entwickelt, die den Wettbewerb jedoch nicht ersetzen, sondern nur ergänzen können. [23] Auch wenn die „inflationäre“ Zunahme von Wettbewerben und Musikpreisen vielfach kritisiert wird und sich die Karriereerwartungen von Preisträger:innen nur selten erfüllen, steht das Erfordernis einer Talentselektion ebenso wenig in Frage wie die Tatsache, dass signifikante Wettbewerbserfolge in vielen Sparten für eine internationale Karriere praktisch unverzichtbar sind. Tatsächlich bieten internationale Wettbewerbserfolge gegenüber anderen (vor allem in Bewerbungs- und Präsentationsszenarien üblichen) Referenzen, wie z. B. Demotapes, CDs, Webpages, Konzertkalender, Kritiken, eine vergleichsweise objektive und zuverlässige Evaluierungsgrundlage der künstlerischen Leistungsfähigkeit. Den teilnehmenden Künstler:innen bieten sie in jedem Fall eine Reihe von wichtigen Erfahrungen und Anreizen. Wettbewerbe veranlassen zu einer intensiven Probenarbeit und zur umfassenden Erarbeitung zentraler Repertoirewerke. Sie eröffnen dabei wichtige Perspektiven für die weitere künstlerische Entwicklung ebenso wie für den professionellen Umgang mit Stress und das Üben unter Zeitdruck. Wettbewerbe verschaffen jungen Künstler:innen Auftritts- und Konzertgelegenheiten. Vor allem aber bieten sie die Möglichkeit der Begegnung und Kontaktaufnahme mit anderen Künstler:innen und mit Juror:innen, Mäzen:innen, Konzertveranstaltern sowie dem Publikum.
Wettbewerbe sind somit keineswegs nur ein „notwendiges Übel“, sondern eine tragende Säule unseres heutigen Musiklebens und der Förderung junger Musiker:innen. Die Kontroversen um die Legitimation von Musikwettbewerben spiegeln die Widersprüche, denen sich alle musikalischen Interpret:innen zu stellen haben, und die Alfred Brendel einmal so pointiert zusammengefasst hat: „Gibt es etwas Paradoxeres als den Interpreten? Er soll sich kontrollieren und zugleich sich selbst vergessen. Er soll dem Buchstaben des Komponisten und der Laune des Augenblicks gehorchen. Er soll ein Handelsobjekt des Konzertmarkts sein und doch eine unabhängige Persönlichkeit.“ [24]
Fußnoten
Vgl. zu diesem Thema u.a. Eckart Rohlfs: Wettbewerbe und Preise, in: Die Musik in Geschichte und Gegenwart, Neuausgabe, hrsg. v. Ludwig Finscher, Sachteil Bd. 9, Kassel u. a. 1998, Sp. 1984–2001; Heiner Gembris/Jonas MenzelAndreas Heye/Sebastian Herbst, Ehemalige Teilnehmende am Wettbewerb „Jugend musiziert“ und ihre Lebenswege. Eine Studie zu den (Nach-)Wirkungen musikalischer Bildung, Berlin 2020.
Hierzu Christoph Müller-Oberhäuser/Tobias Werron, Interdisziplinäre Perspektiven einer Erforschung musikbezogener Konkurrenzen, in: Die Tonkunst, Heft III/2021, S. 248-260.
Vgl. die umfassende Dokumentation des Rompreises bei Julia Lu und Alexandre Dratwicki (Hrsg.): Le Concours du prix de Rome de musique (1803–1968), Paris 2009.
Vgl. Jonas Traudes, Staatliche Musikwettbewerbe als Thema der französischen Musikpresse des 19. Jahrhunderts, in: Die Tonkunst, Heft III/2021, S. 310-317 sowie Signe Rotter-Broman, Musikbezogene Wettbewerbskulturen auf den Weltausstellungen des 19. Jahrhunderts, ebd., S. 318-329.
Vgl. Christoph Müller-Oberhäuser: Chorwettbewerbe in Deutschland zwischen 1841 und 1914. Traditionen – Praktiken – Wertdiskurse, Stuttgart 2022. S. 94–109, hier S. 101.
Rudolf Elvers: Schenkungen und Stiftungen der Mendelssohns, in: Die Mendelssohns in Berlin. Eine Familie und ihre Stadt, Wiesbaden 1983, S. 94–109, hier S. 101.
Vgl. Invention und Durchführung. 25 Jahre Wettbewerbe „Jugend musiziert“ – Spektrum eines jugendkulturellen und musikpädagogischen Förderprogramms. Materialien und Dokumente 1963–1988, hrsg. v. Eckhart Rohlfs, München 1991.
Vgl. die Institutionenübersicht zu Musikwettbewerben des Deutschen Musikinformationszentrums (Zugriff: 9. April 2025).
Vgl. Heiner Gembris [u. a.]: Ehemalige Teilnehmende am Wettbewerb „Jugend musiziert“ und ihre Lebenswege. Eine Studie zu den (Nach)Wirkungen musikalischer Bildung, Berlin 2020. Eine Zusammenfassung wichtiger Ergebnisse der Studie findet sich online: Ehemalige Teilnehmende am Wettbewerb „Jugend musiziert“ und ihre Lebenswege. Eine Zusammenfassung wichtiger Ergebnisse (Zugriff: 9. April 2025)
Ebd., S. 5.
Ebd., S. 5 f.
Vgl. Hans Günther Bastian: Jugend musiziert. Der Wettbewerb in der Sicht von Teilnehmern und Verantwortlichen, Mainz 1987, S. 21.
Vgl. World Federation of International Music Competitions: Yearbook 2025, S. 6. Online unter: https://online.flippingbook.com/view/728151631/8/ (Zugriff: 20. Februar 2025).
World Federation of International Music Competitions: Recommendations for International Music Competitions. Adopted at the General Assembly in Gydgoszcz, Poland 2022. Online unter https://www.wfimc.org/sites/default/files/inline-files/recommendations-2022-final_0.pdf (Zugriff: 20. Februar 2025).
Reinhart von Gutzeit: Die Botschaft der Wettbewerbe. „Jugend musiziert“ im Umfeld einer vielfältigen Wettbewerbslandschaft, in: Üben & Musizieren, 5/2003, S. 9.
Vgl. European Union of Music Competitions for Youth: Competitions. Online unter: https://emcy.org/competitions (Zugriff: 9. April 2025).
Gustav A. Alink: Piano Competitions, Den Haag 1998.
Vgl. ARCultMedia: Kulturpreise. Fakten und Meinungen zu Preisen, Ehrungen, Stipendien und anderen Förderprogrammen im Kultur- und Medienbereich. Online unter: https://www.kulturpreise.de (Zugriff: 9. April 2025).
Vgl. Kulturpreise. Fakten und Meinungen zu Preisen, Ehrungen, Stipendien und anderen Förderprogrammen im Kultur- und Medienbereich. Online unter: https://www.kulturpreise.de (Zugriff: 20. Februar 2025).
Vgl. Ernst von Siemens Musikstiftung: Förderung. Online unter: https://evs-musikstiftung.ch/foerderung (Zugriff: 27. Mai 2025).
Vgl. Stiftung Niedersachsen: Joseph Joachim Violinwettbewerb. Online unter: https://www.jjv-hannover.de (Zugriff: 27. Mai 2025).
Meyerbeer-Stipendium, in: Signale für die musikalische Welt 22 (1864), S. 499f.
Vgl. von Gutzeit, Die Botschaft der Wettbewerbe. „Jugend musiziert“.
Alfred Brendel: Nachdenken über Musik, München 1977, S. 8.